Mit dem Seekajak in der Mitternachtssonne

14 Tage Paddeln in Nordnorwegen – 300 Kilometer nördlich des Polarkreises
Eine organisierte, geführte Gruppenreise im Seekajak auf den Vesterålen in Nordnorwegen, das hörte sich verlockend an. Anreise mit Flugzeug und Postschiff, der legendären Hurtigrute, versprachen schon ein außergewöhnliches Erlebnis auf der Anreise.

Dein Seekajakabenteuer auf den Vesteralen

Unsere Reiseempfehlung:

Vesteralen 2025 - Mittsommersonne und Seekajak15-tägige Kajaktour auf den Inseln der Mitternachtssonne.
Reisezeit: Juli/August 2025
Preis: ab 1885 EUR

Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Es ist 10 Uhr 40 und das Schiff der Hurtigruten hat am Kai von Risøyhamn festgemacht. 10 Uhr 42 – die Gangway fährt herunter und die ersten Passagiere verlassen das Schiff. Schon bald ist unsere achtköpfige Gruppe beieinander und wir können den kurzen Transfer zum Campingplatz starten.
Nach kurzer Pause und einer ersten Vorstellungsrunde richten wir die Seekajaks her und steigen zu einer ersten Probefahrt ein. Um uns die traumhafte Kulisse aus Fjord, Bergen, Sonne und – Stille. Enten, Gänse und Möwen dümpeln am Fjordufer herum. Ab und an tauchen Papageitaucher auf, erschrecken sich und versuchen zu entkommen. Dazu laufen sie 50 Meter über das Wasser bis sie genug Auftrieb erzeugt haben und abheben können. Es ist immer wieder ein kleines Spektakel, diese kleinen, bunten Vögel zu beobachten. So unbeholfen sie beim Fliegen sind, so geschickt jagen sie unter Wasser. Bis 30 Meter tief tauchen die taubengroßen Vögel um Fische zu fangen. In ihrem kräftig-bunten Schnabel reihen die kleinen Fische auf, die sie dann zu ihren Bruthöhlen zum Nachwuchs bringen.

Karibik über dem Polarkreis

Die Inselgruppe der Vesterålen liegt gut 300 Kilometer nördlich vom Polarkreis und direkt hinter den bekannteren Lofoten. Dank des Golfstroms beträgt die Wassertemperatur noch gute 14° C und sorgt an geschützten Stellen für – zugegeben kühle - Badetemperaturen. Der Sommer 2022 gilt als einer der wärmsten hier oben, das Thermometer bewegt sich in den nächsten Tage bis an die 30°-Marke, plus wohlgemerkt.
Trotzdem paddeln wir in Trockenanzügen und schwitzen – saunieren im Trocki.
Die erste Gepäcketappe führt uns in eine Bucht mit traumhaft weißem Sand, einem kleinen Leuchtturm und ebenen Flächen, wo wir unsere Zelte aufbauen können. Um uns das leise Plätschern der Wellen, der pfeifende Flügelschlag von ein paar Gänsen, die vorbei streichen. Wir fühlen uns wie auf einem anderen Stern, genießen den Ausblick auf die Berge und den karibisch anmutenden Strand und sehen die Sonne dem Horizont entgegen ziehen.

Unter uns nur der Himmel

Wir haben einen schönen Platz zum Kochen zwischen den Felsen gefunden. Das Wasser für die Nudeln kocht, die Soße blubbert aus zum Teil noch frischen Lebensmitteln vor sich hin. Am nördlichen Horizont scheint die Sonne. Ein prächtiger Tag. Nach dem Essen erkunden wir unseren Zeltplatz, sitzen auf den Felsen und beobachten das Meer, wie es sich langsam zurückzieht. Und verlieren die Zeit. Es ist Mitternacht und es ist taghell. Von Müdigkeit noch keine Spur.
Nach einer kurzen Nacht und einem opulenten Frühstück packen wir am Morgen unsere Boote. Wir paddeln nordwärts Richtung offenes Meer. Unser Ziel heißt Stø, wo wir vielleicht eine Walsafari unternehmen wollen. Unsere Kajaks schneiden durch das spiegelglatte Wasser. Der Himmel liegt zu zu Füßen, das rhythmische Gluckern der Paddelschläge – herrlich, einfach herrlich hier zu sein.
Wir besuchen das Museum in Alsvåg, einem kleinen Fischerdorf auf der Insel Langøya. Hier reihen sich Gegenstände aus dem Alltag der alten Fischersleute bis in die Moderne. „Mein erstes Handy” meint plötzlich ein älterer Teilnehmer, ein „halber-Ziegelstein-Erikson mit Stummelantenne. Das war 1996, nicht lang her und trotzdem liegen Welten zwischen den neuen Smartphone und dem -Erikson.

Wind, Wind, das himmlische Kind

An ein Weiterfahren ist heute nicht zu denken. Mit Windstärke 6 bläst den Wind von Nordwest. Auch die Walsafari findet nicht statt. Wir gehen ein bisschen Wandern, soweit der Wind es zulässt. Zum Glück gibt es auf dem Campingplatz eine gamme, ein runder Holzbau, der einem Tipi nachgebildet ist. Hier sitzen und kochen wir windgeschützt. Außerdem gibt es ja auch noch das kleine Café mit Kaffee und Kuchen.
Am nächsten Tag wird das Auto nachgeholt. Die Windvorhersage für die kommenden Tage sieht nicht gut aus und wir müssten eine offene Passage zum Nordmeer queren. Stattdessen besuchen wir den alten Fischerort Nyksund mit seinem Naturhafen.

Besuch in Nyksund

Nyksund lag einst, als man noch mit Ruder- oder kleinen Segelboote zum Fischen fuhr, dicht an den Fischgründen. Als die Schiffe größer und motorisiert wurden, wurde der Hafen zu klein. Anfang der 1970er Jahre war der Ort verlassen. Erst 1985 wurde der Ort von einem Berliner Sozialpädagogen wiederentdeckt und die Idee geboren, diesen Ort zu neuem Leben zu erwecken. Zu der Zeit wollte der Gemeinderat den Instandsetzern einen Kanister Benzin und Streichhölzer spendieren. Heute wird Nyksund, der immer noch den ursprünglichen Charakter behalten hat, in jedem Reiseführer als Highlight erwähnt und von zwei Dutzend Bewohner*innen ganzjährig bewohnt.

Ein Inselmeer im Inselmeer

Nachdem wir mit Material und Leuten umgesetzt haben, erwartet uns ein Inselparadies. Dieses Inselgewirr ist ein Eldorado für Angler. Der Norden Norwegens ist für seinen Fischreichtum bekannt. Das war auch früher so. Wir entdecken auf unserer Gepäcktour, versteckt in Buchten, alte, kleine Handelsstationen. Die Kaufleute waren früher die einflussreichsten und wohlhabendsten Leute in der Gegend. Auf einem kleinen Friedhof in der Nähe zeugen zwei protzige Grabsteine von dieser Zeit.
Die Handelsstation Tinden ist unser Ziel. Mächtig baut sich der gleichnamige Berg hinter den Fischerhütten (genannt rorbu = Ruderhütte) auf. Ein Besuch offenbart eine wahre Schatztruhe: Alles ist so wie vor gut 50 Jahren. Im Laden liegt noch Seife neben Unterbüchsen, hängen Nylonstrümpfe neben Angelausrüstung. Nebenan ist noch der alte Telegraph vorhanden. In einer rorbu hat sich ein Café etabliert. Wir folgen dem Rat der Besitzerin und essen frisch gebackene Waffeln mit selbst gemachten Rhabarberkompott. Allerdings blieb es nicht bei einer Waffel.
Frisch gestärkt geht es nach diesem Besuch in der Vergangenheit weiter Richtung offenes Meer. Der Wind kommt aus Südwest, noch paddeln wir im Windschatten. Bei Hovden fahren wir um die nördliche Landzunge herum. Der Wind kommt aus Südwest und Wellen türmen sich plötzlich auf. Wir beschließen, Hovden von der anderen Seite anzufahren. Zum Glück hat der kleine Fischerort gleich zwei wunderschöne Strände aus Korallen- und Muschelsand. Einen zum offenen Meer hin und einen zur Ostseite, in unserem Fall auf der Wind geschützten Seite. Das flach auflaufende Meer schillert auf dem hellgelben Sand zart bis satt Türkis unter der strahlenden Sonne.

Trockenfisch – das Gold des Nordens

Auf den kommunalen Campingplatz mit Klohäuschen und soliden Tisch-Bank-Kombinationen können wir unsere Zelte aufbauen. Der Platz wird von einem Verein ehrenamtlich gepflegt. Schön für uns Paddelnde.
Wahrzeichen von Hovden sind die großen Trockengestelle, auf denen im Winter der gefangene Kabeljau aufgehängt wird, der dann im Mai als Trockenfisch abgenommen wird. Trockenfisch wird in den südlichen Ländern als Delikatesse in Form von Baccalao serviert. Die Nordmenschen kauen ihn teilweise als Kaugummi. Es schmeckt salzig-fischig. Wenn man sich dran gewöhnt hat, gar nicht schlecht – zumindest als Mitbringsel.

Spurensuche

Die Wettervorhersage zeigt wenig Wind und stabiles Wetter für die kommenden Tage an. Trotzdem muss mit schnellen Wetterwechseln hier oben gerechnet werden, allzu weit auf das Meer sollten wir nicht herausfahren. Deshalb wird beschlossen, nach Norden in Richtung Skogsøya zu fahren, eine größere Insel zwischen Hovden und Nyksund.
Unterwegs beobachten wir zahlreiche Jungenten, Möwen kreisen über unseren Köpfen, zwei Seeadler drehen ihre Runden. Wir paddeln geschützt durch kleine Felseninseln, auf einem Felsen sonnen sich Seehunde. Vorsichtig schleichen wir uns vorbei.
Auf Skogsøya steuern wir die Westseite an. Ein wunderschönes Korallen- und Sandstrand breitet sich in seiner ganzen Pracht vor uns aus. Frisches Wasser bekommen wir aus einem kleinen Bach, eine Idylle für's Outdoorleben. Etwas erhöht stellen wir unsere Zelte auf, Holz für ein Lagerfeuer wird gesammelt. Eine kleine Grube für unsere kleinen und großen Geschäfte wird abseits vorsichtig ausgehoben und markiert. Auf unseren Streifzügen am Strand entdecken wir frischen Rentierspuren. Offensichtlich sind zwei oder drei Tiere am Meer gewesen. Ob sie sich bei gut 25° C Lufttemperatur im Meer abgekühlt haben?
Überhaupt ist so ein entlegener Strand ideal, um Spuren zu suchen. Da finden sich Abdrücke von Möwen, auch eine Spur, die von einem Wiesel stammen könnte, hat sich im Strand verewigt (zumindest bis zu nächsten Flut). Wir fühlen uns wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Zumindest auf dieser Seite ist sie unbewohnt. Nur einmal fährt ein Motorboot vorbei und biegt in die Nachbarbucht ein. Wir winken dem Steuermann zu.
Nach der ganzen Geschäftigkeit liegt jetzt die halbe Gruppe vor ihren Zelten und genießt die warme Sonne. Die Trockenanzüge sind auf links gedreht und in der Gegend zum Trocknen verteilt.
Der Ausblick vom Zelt aus ist einfach grandios: gleißendes Licht, im Hintergrund zeichnen sich in hellem Blau die Berge des Tinden und der anderen Inseln ab. Wind streicht seicht durch das Gras, kein Geräusch weit und breit.

Dem Ende entgegen

Am nächsten Morgen packen wir wieder unsere Kajaks und wollen einmal die Insel umrunden. Doch schon in der nächsten kleinen Bucht müssen wir einen Stopp einlegen. Am Ufer steht ein großer Rentierbulle. Sein dunkelbraunes Fell hebt sich deutlich vom grünen Gras ab, der Bast an seinem Geweih ist deutlich zu erkennen. Er stutzt, wird etwas unruhig, läuft den Strand entlang. Zeit für uns, ihn in Ruhe zu lassen und weiter zu paddeln.
Wir passieren eine Schutz- und Rettungshütte. Solche Hütten findet man überall entlang der Küste auf Vesterålen. Sie dienen den Fischern als Zuflucht bei schlechtem Wetter, was hier oben im Norden gerade im Herbst und Frühjahr recht stürmisch werden kann.
Nach einer Nacht auf dem Campingplatz in Myre besuchen wir die kleine, weiße Øksnes-Kirche. Wir landen in der kleinen Bucht vor der Kirche an. Skogsøya wird im Süden von einer kleinen Fähre angesteuert, sodass es nicht ganz so einsam ist.
Apropos einsam: Auf der gesamten Tour, egal wie abgeschieden wir unterwegs waren – wir hatten immer hervorragendes 4G-Netz. Funklöcher scheinen in Norwegen unbekannt zu sein.
Wir erreichen nach einer Woche wieder den Ausgangscampingplatz. Bus und Hänger werden vom Parkplatz geholt. Wieder herrscht rege Geschäftigkeit. Es gilt, sich für die Heimfahrt zu rüsten. Am nächsten Morgen geht es mit dem Postschiff zurück nach Tromsø, und von dort aus nach einer Zwischenübernachtung im Hotel per Flug Richtung Heimat.
Blick zurück
Hinter uns liegen zwölf traumhafte, intensive Paddeltage unter der Mitternachtssonne. Niemand hätte Temperaturen weit über 20° C, niemand so traumhafte, fein weiße Strände und so türkisfarbenem Wasser erwartet. Selbst die Wassertemperaturen verführten einige aus der Gruppe in geschützten Buchten zu einem Bad. Die Wetterbedingungen waren, abgesehen von drei sehr windigen Tagen, ideal, was sicherlich zu dem Gesamteindruck beigetragen hat: Wer die arktische Natur, den rauhen Charme des Nordens und unverfälschtes Outdoorleben mag, wird von den Vesterålen verzaubert werden.

Die nächsten Termine zu der Reise Vesteralen - Mittsommersonne und Seekajak sind vom 27.07. - 10.08.2025 und vom 10.08. - 24.08.2025


Dieser Artikel erschien im DKV-Magazin KanuSport 01/2025
Bilder und Text Lutz Müller

Paddeln unter der Mitternachtssonne auf den Inseln der Vesteralen
Mit dem Seekajak direkt durch den Himmel
Zelten mit aussicht auf den Vesteralen
Mit den Seekajaks in Nyksund (Vesteralen)
Ein Rentierbulle am Strand einer Insel auf den Vesteralen
Ein kühles Bad für Mutige
Ein Heißgetränk am Strand der Vesteralen






Immer eine Welle voraus

nein danke